Zeit für Zeit

Bacteriosapiens

Nikolai Jochum und Sanjay Bösch sind zweifellos echte Charaktere, die mit ihrem Tun und ihren Ansichten aus der breiten Masse herausstechen. Von ihrem Umgang und ihrem Verhältnis zu Lebensmitteln könnte sich die breite Masse aber zweifellos etwas abschauen.

Nikolai Jochum, Klostergarten Marienberg
Bacteriosapiens
Nikolai Jochum und Sanjay Bösch

Seit 2014 hat Nikolai Jochum den Klostergarten in Bregenz gepachtet und baut dort Gemüse an. Doch man merkt schnell, dass er kein gewöhnlicher Landwirt ist. „Wir produzieren in erster Instanz zur Selbstversorgung – also für uns und das Kloster. In zweiter Instanz für Tauschgeschäfte und erst in dritter Instanz für den Verkauf“, erklärt er und lacht laut auf. Dabei meint er das zu 100 Prozent ernst. Und möglicherweise ist es auch seine Denkweise, die den Klostergarten in Bregenz zu einem besonderen Ort macht. Hier scheinen die Uhren irgendwie anders zu gehen. Alles wirkt entspannt und ohne Hast, trotz harter Arbeit. „Es ist auch schon vorgekommen, dass ich die Zeitumstellung vier Tage lang nicht bemerkt habe“, erzählt Nikolai. „Denn man steht halt auf, wenn es hell ist und fängt an zu arbeiten. Und die Hühner haben auch nichts gesagt.“

Auf dem großelterlichen Bauernhof aufgewachsen hat Jochum schon im Kindergarten gewusst, dass er einmal Landwirt werden will. Damals dachte er noch eher an Milchwirtschaft („Weil ohne Kuh bist du in Vorarlberg kein Bauer“). Heute ist er 30 und baut auf verschiedenen kleinen Flächen Gemüse, Kräuter und Obst an. Auch ein paar Hühner hat er. Verkauft werden die Produkte – in dritter Instanz – ab Hof beziehungsweise auf den Märkten in Wolfurt und Bregenz. Aber auch dann nur das, was es eben gerade gibt. „Eigentlich haben wir immer zu wenig Ware. Aber das ist auch die beste Werbung“, sagt Jochum. „Weil wenn die Leute dann im Supermarkt einkaufen müssen, kommen sie gerne wieder zurück zu uns. Es ist halt schon ein Unterschied, ob das Gemüse in der Früh geschnitten wurde oder ob es schon drei Tage liegt. Und regionaler als wir, das geht fast nicht.“

„Es ist auch schon vorgekommen, dass ich die Zeitumstellung vier Tage lang nicht bemerkt habe."
Sanjay Bösch und Nikolai Jochum

Verkaufen könnte er genug, die Nachfrage wäre da. Trotzdem kommt der Verkauf erst an letzter Stelle. Für Jochum ist das nur logisch: Dadurch, dass man sich weitestgehend selbst versorgt und vieles über Tauschgeschäfte macht, muss man naturgemäß relativ wenig kaufen. „Und je weniger man kaufen muss, desto weniger muss man verdienen. Was dann am Ende überbleibt, ist Zeit. Darum geht es ja eigentlich.“

„Und je weniger man kaufen muss, desto weniger muss man verdienen. Was dann am Ende überbleibt, ist Zeit. Darum geht es ja eigentlich.“

Ein Gemüse, das im Klostergarten ebenfalls angebaut wird, es bislang aber noch gar nicht bis in den Verkauf geschafft hat, ist die Klettenwurzel. Die wächst zwar in wilder Form auch in Österreich und gehört zur Familie der Disteln, jene die Jochum anbaut, ist aber die japanische Variante. Das Saatgut dafür hat er von Sanjay Bösch erhalten. Und für diesen baut er die Klettenwurzel auch an.

Bösch hat selbst Erfahrung in der Landwirtschaft. 2013 hat er begonnen am Vetterhof in Lustenau zu arbeiten und dort bald das Buch „The Art of Fermentation“ in die Hände bekommen und nicht mehr aus diesen gegeben. „Die Thematik hat mich sofort fasziniert. Das hat irgendwas losgetreten in mir“, erinnert sich Bösch. „In dem Buch steht alles drinnen, was man wissen muss. Daraufhin habe ich einfach selbst angefangen auszuprobieren. Das ist für mich auch die beste Form des Lernens“, so Bösch.

„Die Thematik hat mich sofort fasziniert. Das hat irgendwas losgetreten in mir.“

Mittlerweile hat er sich mit dem Thema Fermentation unter dem Namen „Bacteriosapiens“ selbstständig gemacht. Einerseits stellt er selbst fermentierte Sachen her und verkauft diese – beispielsweise im Bio-Laden in Lustenau –, andererseits hat er es sich zum Ziel gesetzt, sein angeeignetes Wissen auch weiterzugeben, im Rahmen von Verköstigungen oder Workshops. Das Interesse ist groß: „Manche kochen selbst einfach gerne und wollen etwas Neues lernen, teilweise sind es auch Gastronomen und immer mehr auch Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen mit dem Thema Fermentieren auseinandersetzen möchten“; erzählt Bösch. Fermentierte Produkte sind beispielsweise bekannt für ihre positiven Auswirkungen auf die Darmflora.

Besonders fasziniert ist Bösch von schon erwähnter Klettenwurzel. In Japan wird diese – wenn nicht fermentiert – für Suppen oder Gemüsepfannen verwendet oder auch als Salat serviert. Hierzulande ist sie weitestgehend unbekannt. Wie sie schmeckt? „Sehr eigen. Ganz entfernt vielleicht wie eine frische Artischocke. Und vom Biss her ist sie sehr knusprig und ein bisschen fasrig. Vergleichbar vielleicht mit einem Landjäger“, so Bösch. Er selbst fermentiert sie mithilfe von Reiskleie. „Das ist super einfach und mega schmackhaft.“ Zudem hat die Fermentationsmethodik mit Kleie noch einen weiteren Vorteil: Kleie enthält sehr viele Mineralien. Durch das Fermentieren mit Kleie wird das Gemüse also nicht nur transformiert und haltbar gemacht, sondern noch um zahlreiche Mineralien und Nährstoffe bereichert.

Was Bösch und Jochum verbindet, ist zweifellos die Liebe zu Lebensmitteln. Und dass man diesen Zeit und Aufmerksamkeit schenken muss. Bösch: „Diese ganzen 20-Minuten-Kochbücher, das verstehe ich nicht. Dem Essen und unseren Nahrungsmitteln sollte man Aufmerksamkeit schenken. Das ist nichts für schnell, schnell.“ Denn am Ende geht es ja – wie wir schon gehört haben – um die Zeit.

Sanjay Bösch,  Bacteriosapiens
Nikolai Jochum, Klostergarten Marienberg
Bacteriosapiens
Klostergarten Marienberg